Die „schwarzen Schafe“ der türkisch-arabischstämmigen Familienclans füllen ganze Regalwände von Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden. Nordrhein-Westfalen ist neben Berlin, Bremen und Niedersachsen eines der deutschen „Gravitationszentren“ im Phänomenbereich Clankriminalität.
Wer sind sie, die „schwarzen Schafe“?
Sie sind notorische Kleinkriminelle, Drogendealer oder Intensivtäter - bisweilen organisiert, kriminell und töten im schlimmsten Fall. Sie sind belastend für das Miteinander unserer Gesellschaft, gefährdend für die objektive und subjektive Sicherheit und überaus herausfordernd für die Sicherheitsbehörden. Allein in NRW wurden 2019 über 6.000 Straftaten von kriminellen Angehörigen solcher Clans verzeichnet. Eine Zahl, die eine deutliche Sprache spricht. Etwas, dem man entschieden und strategisch klug entgegentreten muss.
Aber manche Angehörige dieser Clans sind auch einfach nur Wichtigtuer, die den AMG geliehen haben, auf „dicke Hose machen“ und kein Geld für Benzin haben. „Wir sind Araber - und Araber müssen protzen!“ Solche Aussagen kommen aus diesem Kreis. Das kennt man allerdings auch von anderen Strategen, solch ein Gehabe. Das ist etwas, das man aushalten muss.
Die Herkunft und der Nachname verbinden
Wiederum andere - die Mehrheit der Angehörigen dieser Großfamilien - tragen einfach nur den Nachnamen derer, die oben beschrieben wurden, ohne selber jemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten zu sein. Sie leben und arbeiten in Deutschland. Etwas, das man fördern muss. Im Grunde also ist der ‚Clan‘ ein facettenreiches Konglomerat von Menschen, die eines verbindet: ihre Herkunft und in aller Regel ihr Nachname. ‚
Den Clan‘ als umspannende Blase, als kriminelles, homogenes Gesamtkonzept außerhalb unseres Regelsystems scheint es nicht zu geben, so zumindest der heutige Erkenntnisstand. Diese Differenziertheit in der Gruppe erfordert eine gleichermaßen differenzierte Betrachtung seitens der Polizei!
Wie also umgehen mit diesen Familien - mit dem Thema „Clankriminalität“?
Law und Order sind wichtige Grundvoraussetzungen für Sicherheit - keine Frage! Denen, die sich konsequent nicht an unsere Gesetze halten und hochkriminell sind, denen muss mit aller Konsequenz und dem nötigen Druck Einhalt geboten werden. Diesen Kriminellen gilt unsere polizeiliche „Zero-Tolerance“!
Ein richtiger und zielführender Ansatz. Repression und anhaltender Kontrolldruck machen Sinn; richtig adressiert werden sie dazu führen, die Geschäfte riskant zu machen, störend zu wirken und Täter hinter Gitter zu bringen. Aber, Repression hat auch einen ihr immanenten Nachteil: sie kommt immer dann ins Spiel und entfaltet Wirkung, wenn es spät oder zu spät, die Tat passiert ist. Dabei steht grundsätzlich außer Frage, dass auch die Ermittlung, Überführung und letztlich Bestrafung von Tätern eine generalpräventive Wirkung entfalten.
Repression UND Kriminalprävention wichtig
Aber es gibt innerhalb der polizeibekannten Familienclans eben auch Menschen, die zwar (noch) keine Täter sind, die aber eine „Karriere“, so wie sie der Onkel hingelegt hat - viel Kohle, schnelle Autos - erstrebenswert finden, insbesondere, weil sie mit ihrem Namen und ihrer Familienzugehörigkeit für sich keine andere Chance sehen. Daher setzt die Polizei Nordrhein-Westfalen ergänzend auf frühzeitige Kriminalprävention und in diesem Rahmen insbesondere auf die vulnerable Gruppe der Kinder und jungen Jugendlichen, den Nachwuchs.
Unter Leitung des Ministeriums des Innern wurde deshalb 2020 das Projekt „360° - Integration, Orientierung, Perspektiven!“ konzipiert. Es startete in den sieben Ruhrgebietsstädten, die nach dem Lagebild „Clankriminalität“ des Landeskriminalamtes NRW am stärksten betroffen sind: Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen und Recklinghausen.
Aus der Familie kann man nicht aussteigen
Die in den Medien häufig angeführte Reduktion des Projekts auf ein Aussteigerprogramm ist im doppelten Sinne falsch. Zum einen werden in dem Projekt eine Reihe unterschiedlicher Maßnahmen konzipiert und zum anderen ist ein Aussteigerprogramm im familiären Kontext nicht das Mittel der Wahl. Austeigen kann nur, wer eingestiegen ist, z. B. in die extremistische Szene oder die Rockerszene. In Familie steigt man aber nun einmal nicht ein, sondern wird dort hineingeboren.
Das, was wir in diesem Bereich vorhaben, ist die Distanzierung von kriminellen Lebensweisen. Nicht der Ausstieg aus einem System, sondern die Veränderung des Systems durch Verhaltensänderungen der Teilnehmenden und ihrer Familien ist das Ziel dieser Maßnahmen. Es geht darum, den Familien die Folgen und Perspektiven eines kriminellen Lebenswandels für sich und insbesondere die Kinder unmissverständlich zu verdeutlichen und damit eine Alternative zu Kriminalität zu entwickeln.
Ein dazu bestens geeignetes Werkzeug ist die seit 2011 wirkungsvoll und erfolgreich arbeitende NRW-Initiative „Kurve kriegen“, die mit speziell für den Clanbereich geeigneten pädagogischen Fachkräften und zertifizierten Sprach- und Integrationsmittlern ein Update erfahren hat und die Türen in die Zielgruppe öffnet.
Das, was wir in diesem Bereich machen, ist neu für die Zielgruppe. Und wie überall, wo Neues erst einmal Berührungsängste auslöst, gibt es auch hier die „early adopter“. Ob sie bereits auf der Suche nach einem Ausweg waren oder erst wussten, was sie wollten, nachdem es ihnen angeboten wurde, das bleibt zunächst einmal im Dunkeln. Letztlich konnten aber mit Stand heute 26 Kinder und Jugendliche (24 Jungen und zwei Mädchen) aus polizeibekannten Clanfamilien im Alter von acht bis 17Jahren nebst ihren Familien, zu einer Teilnahme bewegt werden. Sie gewinnen Vertrauen, lassen sich auf Gespräche und dann auf Angebote ein und stellen auch Althergebrachtes in Frage. Ein unglaublich wichtiger Schritt, der zuversichtlich stimmt.
Aber das ist nicht alles, was wir tun oder vorhaben. Es geht darum, die Zielgruppe auch in weitere Maßnahmen einzubinden. Zum Beispiel im Bereich von stereotypen Narrativen (Bsp. „ohne den Clan bist du nichts“, „ein legales Leben ist in Deutschland für uns nicht möglich“, „Männer werden im Knast gemacht“), die wir erfassen wollen und sie mit Hilfe so genannter glaubhafter Botschafter auch aus den eigenen Reihen widerlegen und bestenfalls ins Gegenteil kehren wollen („ich habe es geschafft, also kannst du das auch!“). Diese Maßnahme ist bereits erfolgreich angelaufen. Darüber hinaus stehen wir kurz vor der Realisierung eines Frauen-(Mütter-)projekts unter explorativer wissenschaftlicher Begleitung. Denn Frauen haben eine große Hebelwirkung in die Community, sei es als Freundin, Mutter oder selbstbewusste Tochter.
„360° - Integration, Orientierung, Perspektiven“ arbeitet zudem mit den beteiligten Kommunen eng zusammen, bindet andere Ressorts (u.a. das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und das Ministerium für Schule und Bildung) mit ein, um möglichst facettenreich reagieren und unterstützen zu können, z. B. mit Vermittlung eines Ausbildungsplatzes.
Fazit
Kriminalprävention und Clankriminalität, das klingt zunächst einmal - zumindest, wenn man die landläufigen Stereotype vor Augen hat, nach Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit. Unsere Erfahrungen belegen aber bereits nach kurzer Zeit das Gegenteil. Offenheit für die Belange, die es in diesen Familien gibt, sowie eine wertschätzende Grundhaltung, die diese Familien zum Teil zum ersten Mal erleben, sind dabei die Grundvoraussetzung für Vertrauen und das wiederum ist die Basis und die Zugangsvoraussetzung für unsere Präventionsarbeit.
Durch die Anbindung an die SiKo Ruhr haben wir eine vorzügliche Ausgangssituation, um Repression und Prävention synergetisch zu verbinden. Da wo erforderlich zeigen wir Härte und dort wo wir auf Bereitschaft stoßen (oder sie anregen können), Hilfen anzunehmen, reichen wir die Hand.
Unter Leitung eines Koordinators Prävention sowie unter Beratung einer ausgewählten Gruppe von renommierten Wissenschaftlern wird das Ziel des Projekts, die Entwicklung wirkungsvoller und nachhaltiger kriminalpräventiver Maßnahmen, stringent verfolgt.
Allerdings muss man, wenn man sich in einer so schwierigen und heterogenen Zielgruppe bewegt, auch „den Beipackzettel“ lesen. Wir arbeiten mit zum Teil hochgradig kriminalitätsgefährdeten Kindern und Jugendlichen, da sind Rückfälle und Abbrüche quasi vorprogrammiert und Frustrationstoleranz ist auf Seiten der Akteure unabdingbare Kernkompetenz.